ATME - nur Mut

Im März 2020 legte sich eine Stille über die Landeshauptstadt, die sich wohl kaum ein Bewohner je vorstellen hätte können. Ein unsichtbarer Virus stellt Familien, Firmen, Menschen vor eine Aufgabe, die sie so noch nicht kannten. Karen Gleissner (Buchstabenarchiv Innsbruck) und Gerhard Berger (Fotograf) haben die einst lebendigen Plätze in ihrer Stille mit Buchstaben aus dem urbanen Raum fotografiert.

Menschen, denen etwas auf der Seele liegt, denen bang vor der Zukunft ist, die Hoffnung haben, die sich einsam fühlen, die feiern wollen und nicht dürfen, die trauern müssen, aber nicht können, die sich nicht unterkriegen lassen sind eingeladen, sich Luft zu machen und die Gefühle, Ängste, Hoffnung mit uns auf dieser Seite zu teilen.

Der Wunsch nach dem Aufatmen ist groß

Diese Hoffnung verbindet sich 2020 mit Pfingsten: Dass die Menschen wieder miteinander reden können, dass die angstbesetzte Polarität der Reaktionen auf Corona einem zuhörenden und diskutierenden Miteinander Platz macht. Hoffnung ist der Wille zur Zukunft. Wo diese Hoffnung Atem bekommt – da ist Pfingsten.

Heribert Prantl

…vergiss nicht

Johnny Depp hat in einem Interview mal gesagt, dass „atmen“ sein größtes Turn on ist. ATME! Ein Imperativ, den man nur auf eskalierten Teenager-Partys oder im Krankenhaus hört. Es ist ein kurzes Wort: ATME. Man kann andere Wörter daraus bilden. MATE zum Beispiel. Dieses Trendgetränk. Oder ATEM. Oder TEMA, falschgeschrieben wohlgemerkt. Aber darauf will ich nicht hinaus. Man kann noch ein Wort daraus bilden: TEAM. Wir werden immer als Gesellschaft, Volk oder Einwohnerzahl auf Wikipedia bezeichnet. Das Wort Team wirkt komisch in diesem Zusammenhang. Erinnert zu sehr an Fußball. Wir fühlen uns oft voneinander abgekapselt mit unseren Häusern und Dörfern und Städten, aber ein Fußballteam besteht auch nicht aus 11 Spielern. Da gibt es Wechselspieler, Manager, Balljungen, eine Fangemeinde. Wir spielen als Team Österreich. Oder Team Europa? Oder Team „Blauer Planet“? Wir stecken als Team hierdrin. Und jeder, der zuhause bleibt, schießt ein Tor. Alle, die in Krankenhäusern an ihre Grenzen gehen und anderen helfen, die schießen gleich einen Hattrick. Du bist eigentlich immer nur drei Minuten entfernt vom Tod. Aber jedes Mal, wenn sich dein Körper denkt „ATME!“, wird diese Uhr zurückgesetzt. Also ATME, als Beweis, dass du es kannst. Also ATME, als Erinnerung, dass es manche nicht können. Also ATME, als Widerstand und Rebellion. Also ATME, trink MATE, wechsel das TEMA – aber am wichtigsten: vergiss „TEAM“ nicht.

Nick Gleissner

Es ist still geworden…

Es ist still geworden in Innsbruck. Wir machen einen Spaziergang direkt hinter unserem Haus, wo der steile Bergwald beginnt; man ist dort recht einsam. Wir können den Flughafen überblicken, auf dem kein Flugzeug mehr steht. Die Autobahn dahinter, sonst Nadelöhr für den vorösterlichen Besucherstrom auf ihrer Hatz gen Süden, schmiegt sich als verwaiste Betonröhre um die Ausläufer der Stadt. Sogar die Schafe, die im Frühjahr normal auf einer Wiese im Bergwald weiden, haben offenbar Hausarrest. Dafür hört man Vögel; wir könnten schwören, es sind viel mehr als sonst.  Vielleicht werden wir, wenn das alles vorbei ist, ja die Erkenntnis mit in die Zukunft hinüberretten, dass es nicht zwingend ein fieses Virus sein muss, das uns gelegentlich einbremst.

Dominik Prantl

komm lieber Mai…

Komm, lieber Mai, wir Kinder,
wir bitten gar zu sehr!
Bring’ auch viel Nachtigallen
und schöne Kuckucks mit!

Norbert Pleifer

Früher Herbst

ich sitze im Garten

noch ist er grün

aber es riecht unwiederbringlich nach Herbst

ein anderes Licht wird morgen schon

durch die Blätter flirren

nicht wie im Frühling

als der blühende Ginster

ach der Ginster

uns berauscht hat

in deiner Nähe

du weißt es

war das Atmen ganz leicht

Minu Ghedina

[m]ein Refugium

Ich bekomme keine Luft.

Gefühlt.

Zu schnell, zu laut, zu viel, zu viel, viel zu viel.

Sei dies, sei das, tu dies, tu jenes.

Nie und nimmer genug.

Ich bekomme keine Luft.

Gefühlt.

Zu langsam, zu leise, zu wenig, zu wenig, viel zu wenig.

Sei nicht dies, sei nicht das, lass dieses, lass jenes.

Immer und immer und ewig zu wenig.

Das Herz und die Gedanken rasen,

vor Angst, vor Furcht, vor Panik.

Die Brust wird eng, das Atmen schwer und schwerer.

Es ist zu hell, zu grell, zu dunkel.

Es ist zu laut, zu leise, zu still.

Es ist zu früh, zu spät, zu jetzt.

Früher, später.

Hätte, sollte, wollte.

Sie ist zu dünn die Luft ganz unten,

der Tod schleicht schon umher.

Oder geht einem nur die Puste aus?

Den Tod freut’s umso mehr.

Im Todeskampf hilft dir nur eins.

Atmen.

Ein und Aus.

Immer weiter, unbeirrt.

Den Rest ertragen.

Die nackte Angst, die Enge, das laute Pochen.

Den Schweiß, den Schwindel, das Gewicht auf deiner Brust.

Atmen.

Wunderbare Zuflucht.

Warten.

Warten.

Warten.

Sekunden, Minuten, Stunden.

Und ganz von Selbst und irgendwann

— atmet es dich.

Bis dir die Luft wieder wegbleibt.

Zu viel dies, zu wenig das.

Und Luft holen. Bewusst. Rhythmisch.

Angst kann dich nicht töten.

Wenn du atmest lebst du.

Dein Ort der Zuflucht ist bei und mit dir.

Immer.

Bis zum letzten Atemzug.

Caroline Hannah Oswald

Atme in dir

Atemlos steh ich in leeren Straßen 

Atemlos – in sinnentleerten Räumen 

Atemlos – in Distanz zu so Euch, zu so vielen 

Atemlos – getrennt von dir 

Dann setz ich mich hinweg über die Grenzen …. und ich ATME – sitzend bei Tisch, wo die Tränen fließen 

ATME – wenn meine Fingerkuppen deine berühren 

ATME mit dir – auf unseren Wegen 

ATME in dir – meine Liebe

Ulrich Schnizer

einundaus

II: einundausatmen

ruhig
ein und aus

ein und aus

beunruhigt

ein?? und aus.

ein?? und aus.

unruhig
ein! und aus!

ein! ein! und aus!!

beruhigend
ein – und – aus.

ein – und – aus.

ruhig
ein und aus

ein und aus

einundausatmen :II

Sonja Greil

Herr und Frau Schnell atmen …

Um es gleich vorweg zu nehmen, für Schnell war die Quarantäne anfangs ein Segen. In der ersten Woche wurde mal kräftig losgelassen. Der Kühlschrank in Reichweite, die Weinvorräte aufgefüllt, die Internetverbindung verlässlich, gab es keinen Grund, den Ernst der Lage nicht positiv zu sehen. Nach der Eingewöhnung wurde bald klar, dass die 4 projektierten Wochen nicht ausreichen würden und man sich auf mehr gefasst machen musste. Schnell analysierte und begriff, dass er einen Plan brauchte. Nicht nur während der Arbeitswoche, in der er durchaus tätig war, sondern besonders am Wochenende, das ja normalerweise aus zwei Tagen besteht. Ohne ins Büro zu fahren, kam ihm das aber bald nicht mehr so vor. Er schlief länger als normalerweise, ein Luxus, den er sich gönnte. Dann arbeitete er, freute sich über ein Frühstück mit seiner Frau und benutzte die Pausen, um Krafttraining zu machen, im Jacuzzi zu sitzen und zu kochen. Das Haus hatte genügend Zimmer, um sich eine Auszeit nehmen zu können, selbst wenn es regnete.

Nach 4 Wochen wusste man bereits, dass es mindestens 8 werden würden. Spanien war ein großes Land, in dem sich die Leute gerne umarmten und Madrid war besonders stark betroffen. 

In Schnell fasste der Gedanke Fuß, dass dieser Tagesablauf ihn gesund machte. Die Freiheit über seine Zeit entscheiden zu können, Aufgaben, die man stressfrei erledigen konnte, eingebunden zu sein in eine Gesellschaft, die man nicht treffen musste, Schnell war glücklich. Und er fing an, eingehend darüber nachzudenken, wie er diesen Zustand beibehalten konnte. Er malte sich ein Leben aus, in dem er keinen Job mehr hatte und gemeinsam mit seiner Frau in einem schönen Haus wohnte, mit einem Garten davor, damit sie glücklich war, zwei, drei Hunde, mehrere Katzen, Olivenöl, laue Herbstabende, ein Glas Wein. Er atmete.

In Woche sechs hörte er damit auf und die Unzufriedenheit kehrte wieder ein. Man weiß nicht genau, woher sie gekrochen kommt, aber sie lässt sich nicht abschütteln. Schnell fand Kleinigkeiten, über die er sich aufregen konnte. Zuerst waren es nur schmutzige Teller und verknüllte Decken, doch bald waren es faule Kinder und eine angespannte Ehefrau. Woher das kam ist wie immer ungeklärt, doch die Entladung ließ nicht lange auf sich warten. Das Gewitter dauerte 39 Stunden, die Nachwirkungen dementsprechend lange. Fest steht, man nimmt sich überall hin mit, auch im Paradies regnet es und Spanien hatte in diesem Sommer genügend Wasser in seinen Staudämmen, um die iberische Halbinsel mit Strom zu versorgen.

Und Schnells Frau? Sie schüttelte den Kopf, wie man es macht, wenn man das Genick lockern will. Man möchte verstehen, woran es liegt. In ihrem Fall wollte sie herausfinden, warum Leute ihre Erkenntnisse immer mitteilen mussten. Diese Mitteilungsgeilheit war offensichtlich durch die Quarantäne noch verstärkt worden. Deswegen schüttelte sie den Kopf, um ihn besser zu durchbluten und damit die Denkfähigkeit zu stärken. Das gleichzeitige Ausblasen von viel Luft aus der Lunge führt zu einer Verstärkung des Effektes. Es erhöht die Wachsamkeit und schüttelt die Gedanken in eine Reihe. Schnells Frau schüttelte und atmete, sie atmete tief. 

Dann runzelte sie die Stirn. Die ganze Welt war in der Quarantäne zur Hausfrau geworden und während die wirklichen Hausfrauen früher nicht besonders angesehen gewesen waren, weil es ja so langweilig war, den ganzen Tag zu Hause zu sitzen, zu putzen, zu nähen, zu kochen, zu lesen und zu turnen, so waren sie heute im Zentrum einer weltumspannenden Ära des entschleunigten Lebensstils, Zeit habender Menschen, die Zeit einfach verstreichen lassen konnten, die da draußen nichts fanden und nichts in sich, denn im Grunde standen alle vor der gleichen Langeweile – mit Ausnahme der armen Menschen, die erkennen mussten, dass sie ohne das da draußen gar nicht überleben konnten und die nicht Langeweile sondern Angst verspürten. Und wie man es auch drehte und wendete, mit Trainingsplänen dagegen ankämpfte oder mit dem 15ten Antidepressionskuchen, mit viel Schlaf oder Ausmisten, das moderne Leben ist nur deswegen interessant, weil man so viel tun kann, dass man immer das Gefühl hat, etwas zu versäumen.

Und Schnells Frau wusste, wie viele andere, dass es wieder genauso werden würde. Allen Untergangsrufern zum Trotz, würden natürlich alle wieder zurückkehren in das Hamsterrad, die Urlaubsparadiese und die Kulturmaschinerie. Es würde sogar schlimmer werden als vor der Krise, denn die Leute werden sehr schnell vergessen wollen, dass sie diese Gedanken überhaupt hatten. Der Mensch kann nicht existieren, wenn er die Sinnlosigkeit des Lebens ständig vor Augen hat und die Ablenkung ist ein Paradigma, dass zu jeder Zeit gut funktioniert hat. Also beschloss Schnells Frau jeden Artikel, der ihr ins Auge stach, zuerst am Ende zu lesen. Waren Reizwörter wie „eine neue Zeit“, „noch nie dagewesen“, „angebrochen“, „Besinnung“ oder „Erkenntnis“ abgedruckt, las sie ihn nicht. Es ist ihr viel erspart geblieben.

Anne Fuchs

Zum Thema Atme

Wie so oft hörte ich neulich ungewollt ein Gespräch im Bus mit: Zwei Damen und ein Herr unterhielten sich aufgeregt, über die Sinnhaftigkeit des Mund- und Nasenschutzes, in Zeiten der Corona-Virus-Verbreitungs Vermeidung. Frau A hatte die Maske ohnehin nur über den Mund. Frau B hielt sie hoch, damit ihr das Sprechen leichter fällt, damit ihre schrille laute Stimme noch lauter gehört werde. Herr C ließ den Seidenschal Richtung Hals rutschen und begann im Wechsel mit den Damen eine heiße Diskussion. Frau A sagte, von Rum nach Innsbruck sei es ihr einfach zu lange die Maske zu tragen. Frau B sagte, ihr ganzes Make up würde verschmiert und ihre Frisur würde durch die Bänder zerstört. Herr C könne mit der Maske nicht ATMEN, bekäme Angstgefühle und Atemnot. Er könne mit der Verordnung der Regierung ohnehin nichts anfangen. Spontan waren meine Gedanken bei meinen KollegenInnen auf der Intensivstation. Wer hat sie je gefragt, ob sie es aushalten können, dzt. bis zu 12 Stunden oder eine ganze Nacht diesen Mundschutz zu tragen? Nicht nur den, Dienstkleidung, Plastikschürzen, Schutzmäntel, Brillen, Hauben, Schilder usw……eine lange Liste von Bekleidungsvorschriften, die einzuhalten sind. Es ist so – Vorschrift – Gesetz und wie immer das Pflegepersonal „funktioniert“. Mütter Theresa sind zur Stelle – ohne wenn und aber. Wenn eine/r nicht mehr kann, springen die Nächsten – mit mehr Arbeit – ein. Ohne Rücksicht auf Verluste – ATMEN – ATMEN – bis zum Umfallen. Ihr schafft das schon! Die Menschen im Bus halten die Maske nicht einmal aus, wenn sie von A nach B fahren. Die Pflegenden und Ärzte auf den Intensivstationen, haben es auszuhalten. Die jahrelange Diskussion über den Pflegenotstand kann ich nicht mehr hören. Fünf GesundheitsministerInnen haben nichts auf die Reihe gebracht, Hauptsache die Pflege funktioniert und ATMET. Die Wertschätzung der Bevölkerung lässt zu wünschen übrig, nur wenige sind wirklich dankbar. In meiner 35-jährigen Dienstzeit als Dipl. Gesundheit- und Krankenpflegerin habe ich genug erfahren, dass unser Beruf als ganz selbstverständlich hingenommen wird. Solche Aussagen: „Die trinken eh nur Kaffee oder für`s Hinternputzen zahle ich nicht“, schmerzen. Vielleicht hat es das ganz kleine, hinterfotzige Virus fertig gebracht, dass unser Beruf mehr geschätzt und geachtet wird? Denn wir haben genauso das Recht ATMEN zu können, ohne auf die Strasse als Bittsteller gehen zu müssen. …….Ob weniger Stunden Arbeit oder mehr Gehalt, das ist in Coronazeiten zweitrangig geworden. Wie immer „Schwamm drüber, ATMET und haltet durch in euren Masken“, wir brauchen euch! So vergeht ein Jahr nach dem anderen. Ich glaube es wird sich auch weiterhin nicht viel ändern. Ja – jetzt hat man gesehen, wie wichtig dieser Beruf ist und wie lächerlich es erscheint, im Bus über das Maskentragen zu jammern. Krankenpflege ist kein „Job“, den man weil gerade grosser Bedarf einfach auswählen soll. Viele junge Menschen haben ja keine Ahnung, was auf sie zu kommt. Die Ausbildung ist kein Honiglecken, die physische und psychische Belastung enorm. Sie sollten viel „mitbringen“ was man nicht lernen oder lehren kann: HERZ – Liebe zum Menschen, Einfühlungsvermögen, Voraussicht, Verlässlichkeit, Ehrlichkeit, Gespür, Verantwortung, fachl. Kompetenz, Pünktlichkeit, Entscheidungsfähigkeit, Selbständigkeit, Teamwork Bereitschaft, Erkennen von Notfällen und Symptomen, Arbeitseinteilung, Dokumentation, Umgang mit Sterbenden und Tod, Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen usw. …… Wer hört eigentlich Pflegende an, ob sie überhaupt noch ATMEN können? Bis 90 % sprechen berufsfremde Personen und Politiker über dieses Thema. Da unser Berufstand nie aufgemuckst hat, ist es so weit gekommen. Für alles andere waren Gelder vorhanden, jetzt ist es zu spät zu jammern. Es ist nicht mehr fünf vor zwölf, sondern 3 Uhr. Mein Aufruf: liebe KollegenInnen ATMET weiterhin durch – bitte, bitte – haltet es wieder einmal aus – zum Wohle der uns anvertrauten Kranken – die Maske zu tragen. Haben wir doch trotz allem den schönsten Beruf, den es gibt. Auch der Glaube kann eine Hilfe sein, um Kraft zu bekommen, in dieser schweren Zeit: „Was ihr den Geringsten meiner Brüder getan habt, habt ihr mir getan!“ ……….und das bringt Segen!

Margit Kern

B r e a t h e in ————- B r e a t h e out

Now if you love me please don’t tease
If I can hold then let me squeeze
My heart goes round and round
My love comes a tumblin‘ down
You leave me ah
Breathless Ah!

Jesse Lujack/Jerry Lee Lewis

Willi Goller

Während ich, bewusst, (aus) atme – was die Zukunft brauchen könnte?!

  1. Dass Regierende damit aufhören die Mär zu verbreiten bzw. Menschen aufhören daran zu glauben, dass wir alle im gleichen Boot sitzen. Das mag für das „Raumschiff Erde“ stimmen, dessen Passagiere wir sind – gleichzeitig haben wir eine weltweite Vermögensverteilung zwischen Frauen und Männern von 3% zu 97%. Eine massive Umverteilung des Vermögens – auch von Reich zu Arm (weltweit!) ist ein Gebot der Stunde.
  2. Dass die Modelle der Nationalstaaten und religiöser Institutionen ( nicht des Glaubens an sich) radikal auf den Prüfstand gestellt werden (America first?! Unfehlbarkeit des Papstes?!) Grenzenlose Utopien, Inklusion als Form des gesellschaftlichen, (über)regionalen Zusammenlebens dürfen nicht vorweg von Machthaber*innen als Spinnereien abgetan werden bzw. zivilcouragierte Menschen erkennen und nutzen diese Situation für Experimente neuen sozialen und wirtschaftlichen Zusammenlebens.
  3. Dass es auf der persönlichen Ebene für jede/r Einzelnen eine tiefgreifende, chronische Infektion zweier „Werteviren“ braucht: Anstand und Gemeinsinn als dauernd zu pflegende und lebende Weltsicht.
  4. Sich nicht zu ernst zu nehmen und dabei weiter zu atmen!
  5. K.M. Brandauer als alternder Wilhelm Reich, Psychoanalytiker, im Film „ The strange case of Wilhelm Reich“ zu einem seiner letzten Patienten:
    „ Was immer passiert – atmen Sie weiter.“

Joachim Nagele

Inne – Halten

1Atem, 2 Atem, 3 Atem – immer schneller und hektischer atmen. Ruhelos.
Bis es mir plötzlich den Atem verschlägt. Unvorbereitet.
Sprach- und atemlos zurück bleiben. Rückschau halten.
Plötzlich – wohltuende und entschleunigende Pause. Inne-halten,
um gehalten zu werden .
Wendepunkt!
Aus mir atmen. Im ewigen und unzerstörbaren Atman sein – Los-lassen!
Ballast abwerfen. Innere Räume und ungelebtes Leben entdecken.
In die Stille hineinhören. Die Fülle des Lebens im Jetzt genießen.
1fach SEIN.

Gerhard Steger

Na, gut geatmet?

Atmen. Ein Wort das man eigentlich gar nicht braucht, wenn Sie mich vor ein paar Wochen gefragt hätten. Denn wann haben Sie das letzte Mal jemanden gefragt: „ Na, haben Sie gut geatmet?“ Wahrscheinlich noch nie, aber gerade in den letzten Wochen hat das Wort doch eine ganz andere Bedeutung, oder sagen wir mal eine ganz andere Dringlichkeit erhalten. Irgendwann atmen wir alle nicht mehr, dass ist mir bewusst, und ich war auch immer der Meinung, dass das etwas Gutes ist. Der Tod erschien mir nie als etwas Schreckliches, sondern eher als gutes Ende. Quasi als Begrenzung, wie die Zeitangabe bei einem Film, sodass man weiß, wann man das Licht ausmachen kann, die Decke hochziehen und einschlafen kann, ohne etwas von der Handlung zu verpassen. Ja, so oder so ähnlich stell ich mir das vor. Aber was, wenn Stromausfall ist und es plötzlich dunkel wird bevor diese Minutenanzahl abgelaufen ist? Was wenn der Film plötzlich ins Stocken gerät oder der Laptop, auf dem man den Film ansieht, keinen Strom mehr hat? Was wenn man nicht das Ende des Films erfährt? Was dann? Corona hat mir zwar keine Angst vor dem Tod gemacht, aber es hat mir gezeigt, wie wenig man heutzutage solchen Minutenanzeigen trauen darf. Ich bin fest davon überzeugt, mit meiner Oma und meinen Kindern irgendwann durch den Hofgarten zu spazieren. Habe bisher auch nie an dieser Vorstellung gerüttelt, doch in den letzten Tagen ist mir bewusst geworden, wie wenig gesichert dieser Traum ist. Und ja, mittlerweile spreche ich von einem Traum, früher von einer Tatsache in der Zukunft. Ich habe keine panische Angst davor alle zu verlieren, falls das jetzt so wirkt, und ich glaube auch, meine Chancen diesen Traum in Erfüllung gehen zu sehen, sind nicht so gering, aber die derzeitigen Veränderungen in unserem Alltag und die Tatsache, dass ich jetzt einen Text übers Atmen schreibe, und in diesem Zusammenhang auf meine Oma sprechen zu komme, ist schon etwas bizarr. Dennoch bin ich der Meinung, dass nichts ohne Grund geschieht und jede Situation etwas Gutes hat, auch wenn sich dies eventuell erst später zeigt. Corona hat in dem Sinne etwas Gutes, dass wir wach geworden sind. Unser Hamsterrad kurz zum Stillstand gekommen ist und uns vor Augen geführt wurde, wie machtlos der Mensch eigentlich ist. Egal wie erfolgreich wir sind, wie viel Geld wir besitzen oder wo auf der Erde wir wohnen: momentan sitzen wir alle mehr oder weniger zu Hause und wollen nichts dringlicher als ein Corona-freies Leben. Wir sind alle gezwungen worden, unsere Prioritäten zu überdenken und das ist, wenn auch der einzige aber dennoch EIN, guter Punkt an Corona. Vielleicht fange ich nach dieser Krise an, mehr in den Tag hineinzuleben, mir nicht nur Gedanken über die Zukunft zu machen, sondern so gut es geht diese Zukunft zu leben. Also keine Träumereien mehr über meine Kinder im Hofgarten mit meiner Oma, sondern stattdessen Oma und ich, ohne Kinder, aber dafür gemeinsam im Hofgarten und das noch am besten dieses Jahr!

Lena Kreimer

Atem und Schöpfung

Am Ostertag kommt Jesus zu seinen Jüngern, die sich ängstlich in einem Raum eingesperrt haben, und sagt zu ihnen:

Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Nachdem er das gesagt hatte, hauchte er sie an und sagte: Empfangt den Heiligen Geist! (Johannesevangelium 20)

Um die Kraft dieses österlichen Atems auszudrücken, schuf der Künstler Lois Fasching in der Pfarrkirche Debant eine Altarskulptur mit elf große Holzfiguren. Zehn wirken verwirrt und verängstigt, es sind dies die Apostel am Osterabend. Sie wenden sich dem Auferstandenen zu, der unerwartet in ihre Mitte kommt. Jesus hält beide Hände wie einen Trichter vor sein Gesicht. Man spürt, welche Energie er hat, wie er aus seinem Innersten heraus Kraft holt und seine Jünger und alle Besucher und Besucherinnen der Kirche anhaucht: Empfangt den Heiligen Geist! Jesus gibt seinen Atem weiter. Sein Geist bewirkt, dass sich die Enge meines Lebens in Weite, meine Müdigkeit in Kraft und meine Härte in Liebe und Zuwendung verwandelt.

Die Bibel berichtet, dass Gott dem Menschen bereits bei dessen Erschaffung den Lebensatem schenkt und dadurch der Mensch erst zum Menschen wird.

Da formte Gott, der HERR, den Menschen, Staub vom Erdboden, und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen. (Genesis 2,7)

Die Selbstverständlichkeit, dass wir vierundzwanzig Stunden am Tag ein- und ausatmen, wird uns erst dann bewusst, wenn wir Probleme mit dem Atmen bekommen und uns die Luft ausgeht. Wir kriegen keine Luft mehr, wenn die Angst uns einschnürt, uns etwas belastet oder die Überforderung wie eine Felswand vor uns steht und immer größer und unüberschaubarer wird. Druck, Zwang und ständiges Hetzen schnüren den Hals zu. Ein flacher Atem zeugt von Unruhe und schenkt keine Gelassenheit.

Franz Troyer

Atem holen

Die Luft zum Atmen ist für uns alle lebensnotwenig. Bei mir kommt es derzeit aber manchmal zu Schnappatmung.
Ich war von Beginn an der sogenannten Corona-Krise skeptisch gegenüber der Abschottungsstrategie der Regierung, weil ich fest davon überzeugt bin, dass wir mit den Gefahren des Lebens, zu denen Viren, Bakterien, Krankheiten, Unfälle uvm. gehören, leben müssen. Ich will Krankheit und Tod keinesfalls verharmlosen, mich aber ebenso wenig von Angst begleiten lassen.

Ich halte es vielmehr mit der Theologin Dorothee Sölle: „Grenzenlos glücklich, absolut furchtlos, immer in Schwierigkeiten!
Will heißen, dass wir zweifelsohne alle Gefahren des Lebens mit einer Portion Furchtlosigkeit und Offenheit leichter meistern als mit Angst und Vorbehalten.

In Sachen Corona schwebte zu Beginn das Damoklesschwert einer„Apokalypse unseres Gesundheitssystems“ über uns. Der Herr Bundeskanzler erzählte von zu erwartenden 100.000 Toten und tausenden Infizierten, die womöglich in unseren Spitälern nicht mehr behandelt werden können. Ein Killerargument, das niemand ignorieren kann. Also war die Quarantäne zu akzeptieren. Doch ich stellte mir auch die Frage: Welche Strategie wird verfolgt? Sollen wir panisch abwarten und uns abschotten, bis ein Medikament gefunden, bis eine Impfung am Markt, bis eine Durchseuchung von 60% erreicht ist? Letztere ist nachweislich schwer zu erlangen, wenn wir uns zu Hause einsperren. Wie lange ist ein Lockdown durchzuhalten? Wie viel Leid wird hervorgerufen, wenn unsere Betriebe Pleite gehen, wenn die Menschen an Einsamkeit leiden und vor dem finanziellen Ruin stehen? Umso mehr ich las, umso mehr taten sich kritische Stimmen hervor, die die behördlichen Notmaßnahmen wie Ausgangssperren und Zwangsschließungen kritisierten.

Es begann in mir zu brodeln, was soll das alles?

Wollen wir mit der Bekämpfung des Virus auch den Tod abschaffen? Hinter jedem Sterben steckt zweifelsohne ein menschliches Schicksal. Immer wenn wir mit Tod und Ableben konfrontiert sind, herrscht Bestürzung und Trauer. Egal ob Menschen wegen eines Virus, einer

anderen Krankheit oder wegen eines Unfalles ihr Leben lassen müssen. Es ist für uns immer gleich schlimm.

Doch können wir doch niemals das Kollektiv für den Tod verantwortlich machen. Egal woher er kommt. Das Kollektiv soll bestmöglich gesunderhaltende Regeln einhalten, jedoch den Tod wird das Kollektiv niemals aufhalten können. Derzeit offenbart sich in manch einer Notmaßnahme die absurde Frage: Wollen wir ab jetzt ewig leben?

Angesichts des diskutablen Verhältnisses zwischen Corona-Kranken und -Verstorbenen einerseits und der Gesamtbevölkerung sowie der Anzahl von an üblichen Krankheiten Leidenden anderseits, bin ich geneigt diese Frage zu stellen. Die Betroffenheit bei den Todesfällen in Seniorenheimen scheint mir zudem sehr unrealistisch, gar scheinmoralisch. Meine Mutter ist ein schwerer Pflegefall und lebt in einem Heim. Ich war zu Beginn sehr schockiert, wie oft sich die Namen auf den Türen und ihre Tischnachbarn ändern. Es wurde mir aber schmerzlich bewusst, dass ein Leben im Pflegeheim leider auch das Lebensende bedeutet.

Im Zuge der Berichterstattung wurde mehrfach offensichtlich, wie unterschiedlich Zahlen gelesen werden können und wie schwierig die Zahlenvergleiche mit anderen Ländern sind. Wie wenig handfeste Zahlen uns die Experten liefern können, wie oft Zahlen wieder revidiert werden müssen. Deshalb will ich hier keine Zahlen nennen. Jede/r der vergleichen will, kann sich anhand der aktuellen Presseseiten alle Zahlen holen, die er/sie glauben will. Fest steht für mich, dass manches buchstäblich ver-rückt ist.

Der mediale Verstärkerkreislauf

Die Medien kennen seit Wochen nur mehr das C-Wort. Die Politik treibt die Presse vor sich her und umgekehrt. Überboten von den drastischen Einschränkungen und verkündeten Maßnahmenpaketen. Die Neue Zürcher Zeitung schreibt von einem „monothematischen Tsunami“ der seit Wochen über uns hereinbricht. Man spricht von Krieg, von„Lebensgefährdern“ und schwadroniert von Krise und Ausnahmezustand. Wer Augenmaß einfordert, wird als „Verharmloser“ medial gesteinigt. Wer Machenschaften hinterfragt, wird als„Verschwörungstheoretiker“ abgekanzelt.

Die Regierung verkündet immer mehr Einschränkungen der Bewegungs- und Wirtschaftsfreiheit, die uns beschützen sollen. Der vermeintliche Schutz wird aber teuer erkauft mit Firmenpleiten, Arbeitslosigkeit und Armut. Die Verhältnismäßigkeit der Virusbekämpfung mit ihrer mutwilligen Inkaufnahme der Zerstörung der Wirtschaft, scheint völlig aus dem Ruder gelaufen zu sein.

Wer die Freiheit aufgibt, um Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren“, hat Benjamin Franklin gesagt.

Plötzlich werden Epidemie- und Telekomgesetze geändert, Verfassungsrechte verletzt, demokratische Prozesse außer Kraft gesetzt. Ein möglicher Aufschrei der Gesellschaft durch Proteste, wurde durch das Versammlungsverbot kurzerhand unterbunden. Da drängt sich in mir die Frage auf: Soll die Krise deshalb noch beibehalten werden? So willfährig wie jetzt ist die Bevölkerung nur selten.

Ich atme ein, ich atme aus.

Ruhe und Besonnenheit sind nun gefragt. Ich will niemanden Böses unterstellen, doch will ich Fragen stellen dürfen: Wie reagieren wir in zwei Jahren, wenn vielleicht wieder ein unbekanntes Virus auftaucht? Was können wir tun, wenn die Wirtschaft nicht mehr anspringt? Wer soll die vielen Milliarden zurückzahlen, die unsere Regierung derzeit so großzügig austeilt? Schafft der Staat Böses, obwohl er nur Gutes will?

Doch umso mehr die Corona-Blüten blühen – wenn Abstandsregeln auf der Bühne verordnet; Liebesszenen bei Dreharbeiten in Frage gestellt; der Ball beim Tennisspiel separiert; Familienfeiern auf 5 Personen beschränkt werden und Sportbewerbe unter Ausschluss der Fans stattfinden sollen – umso mehr spüre ich ein Erwachen jener, die scharfen Sinnes sind. Wie absurd ist das denn alles?

Ich will die Schnappatmung mit einer versöhnlichen Erkenntnis Hölderlins beenden: „Wo Gefahr ist, wächst das Rettende auch.

Rettung geschieht, wenn wir einen klaren Geist, ein mutiges Herz und genügend Luft zum Atmen haben. Wir werden wohl oder übel akzeptieren müssen, dass der Mensch sterblich ist, dass ein geglücktes Leben nur angstfrei gelingen kann, dass Wohlstand auf produktiv- erfüllender Arbeit beruht, dass uns vor lauter Überwachung und

Bürokratie das Ersticken droht und dass dem politischen Handeln Grenzen gesetzt sein müssen, weil sonst das Damoklesschwert aus Machtmissbrauch und Willkür über uns schwebt. Nicht nur das Virus, auch die virale Verwirrung kann nicht schnell genug bekämpft werden.

ATEM HOLEN. Durchbrechen wir den globalen Mainstream. Lassen wir kritisches Hinterfragen zu. Erhören wir auch andere Experten, die abseits der Regierungslinie etwas zu sagen haben. Schalten wir unseren Hausverstand ein. Appellieren wir an das öffentliche Augenmaß.

Ein durchgelüftetes Leben in Freiheit wird dann die neue Normalität sein!

Julia Sparber-Ablinger

„Atme.“

Tja, eh. Immer. Wirst du sagen. Aber kennst du den Unterschied wie du atmest, wenn dein Kind morgens vor der Schule trödelt oder wenn du auf einer Bergspitze sitzt und die Aussicht dich ins Staunen bringt? (Ersteres bringt mich manchmal fast zum Hyperventilieren, zweiteres zum tiiiief Durchatmen.) Wenn du zuhörst oder selbst sprichst? Wenn du Schwammerln sammelst oder Geschirr abspülst? Bei welcher Tätigkeit bist du so ganz bei dir? Ich liebe es Karten zu gestalten, Papier zu bemalen, zu vernähen, zu beschreiben oder zu bestempeln. Der Prozess wenn aus Teilen ein neues Ganzes wird und seit Jahren ist hier eines meiner Lieblingsworte „Atme“. Mein Bezug zu diesem Wort befindet sich im Wandel. Zuletzt hat mich der Umgang eines buddhistischen Mönchs, Br. Thay Phap Ans Umgang mit Gefühlen bei einem Wanderretreat sehr beeindruckt. Zum Beispiel bei Unsicherheit, übt er Selbstmitgefühl, indem er einatmend „ich bin unsicher“ und ausatmend „ich bin unsicher“ zu sich sagt.

Ich übe das auch gerade. Selbstmitgefühl ist immer und jetzt auch besonders, eine der höchsten Übungen.

Beim Umgang mit den eigenen Gefühlen oder den Gefühlen der Familienmitglieder, wenn ich mir Gedanken darüber mache, wie es weiter geht oder während homeoffice und homeschooling an meinen eigenen Ansprüchen reiben und ich mich frage was JETZT wirklich davon notwendig ist.

Atme mit dir, mit mir und der Welt. Und frage dich was in deinem Leben notwendig ist, zu besitzen, zu tun, zu sein.

Ein ~ Aus

Susanne Bosin

Ich hab den Überblick verloren…

Über die Zeit und über meine Gedanken. Haben wir heute Donnerstag oder Montag? Habe ich Angst oder einen Knall? Bild ich mir diesen Wahnsinn womöglich nur ein? Ist mein Home-Office in Wahrheit eine Gummizelle und ich Opfer eines psychotischen Schubs, der mir vorgaukelt, dass die Welt gerade still steht. Maskenpflicht. Abstand halten. Jogging-Verbot. Gemeindegrenzen nicht überschreiten. Auf keinen Fall jemandem die Hand schütteln, aber permanent die Hände waschen müssen. Bei der Härtefonds Hotline anrufen. Erfahren, dass man zu wenig verdient hat, um unterstützt zu werden. Zu arm, um arm zu sein?

Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass 2020 ein gutes Jahr wird. Ich hab mich über den zusätzlichen Schaltjahr-Tag gefreut, wollte eine Dirty Dancing-Gartenparty machen, endlich mal vom 10er hupfen, mit dem Freizeit-Ticket in der Hand alle Tiroler Bäder testen und im Sommer nach Nizza und Bologna fahren. Ja, ja. Schon gut. Arbeiten wollte ich auch – und hätte ich auch können. Aufträge waren da. Und brechen jetzt weg. Tourismusmagazine wird’s heuer wohl keine mehr geben. Das Theaterfestival, für das ich die Pressearbeit hätte machen sollen, ist abgesagt. Das Literaturfestival, an dem ich auch mitarbeiten wollte, ebenso. Bis Juni bin ich also voraussichtlich haggnstad. Und irgendwann werden dann auch meine Ersparnisse erschöpft sein. Wobei: Wenn ich weiterhin im Monat nur knapp 200 Euro für Lebensmittel und Zigaretten ausgebe, dann steige ich am Ende womöglich doch noch als rich bitch aus.

Was mich erstaunt: Obwohl es gerade nicht viel zu tun gibt, bin ich ständig erschöpft. Mein Kopf rattert den ganzen Tag und auch die halbe Nacht: In meinen Träumen bin ich Geheimagentin und werde von bösen Kerlen auf einem Schlachthof filetiert. Oder ich adoptiere eine überdimensional große Katze mit Löchern im Bauch, die dem Tod geweiht ist. Am schlimmsten war aber das eindeutig zweideutige Angebot von meinem Ex-Chef, der mich in Wien zum Beischlaf überreden wollte. Ich hab zwar lachend abgelehnt, bin aber trotzdem groggy aufgewacht. Nicht mal beim Schlafen hat man seine Ruhe.

Dabei wäre es ja gerade so still. Kein Flugzeug-Lärm, kein Autobahn Gebrumme, kein nerviges Gequatsche, kein aufmunterndes Lachen. Ja – man hört oft seinen eigenen Atem. Und da bin ich wieder bei der Angst. Allzu schön ist dieses Geräusch nämlich nicht.

Vor ein paar Tagen hab ich mir die Live-Übertragung des päpstlichen Segens angeschaut. Herrgottsakra – danach war ich wirklich panisch. Und hatte eine neue Form der Platzangst: Der fußmarode Papst inmitten des verwaisten Petersplatzes…uff…solche Bilder wollte ich nie sehen. Dazu noch die täglichen Hiobsbotschaften aus Italien, wo Leichenberge vom Militär abtransportiert werden und verzweifelte Krankenpfleger heulend in den nach Tod riechenden Krankenhausgängen kauern. Werden wir diese Impressionen jemals wieder los?

Wie wird die Welt nach Corona sein? Wahrscheinlich komisch. Denn schon in den letzte Wochen hat sich gezeigt, dass nur die wenigsten Menschen in der Krise zu besseren Versionen ihrerselbst werden. Beim Spazierengehen schlägt einem Aggression entgegen. Im Supermarkt wird man angerempelt und angepfaucht. Und viel mehr Aktivitäten gibt’s ja eh nicht. Außer man ist passionierter Hobby-Blockwart und liegt den ganzen Tag auf der Lauer, um mögliche Übertretungen des Social-Distance-Gebots ratzfatz bei der Polizei melden zu können. Sind das dann eigentlich die selben Leute, die bei den Balkonkonzerten „Ein Stern, der deinen Namen trägt“ oder „Du bist das Land, dem ich die Treue halte“ anstimmen? Nix für ungut: Aber ich mach neuerdings um 18 Uhr die Balkontür zu – weil ich Angst habe, dass ich mir bald auch noch „Zu Mantua in Banden“ oder „I sing a Liad für di“ anhören muss.

Hin und wieder muss ich aber auch lachen. Etwa wenn meine Schwester, mit der ich eine Corona-WG bilde, frühmorgens „Tauet Himmel den Gerechten“ singt, während sie einen Krapfen aus dem Tiefkühler nimmt. Oder ich ein Video von meinem Patenkind Ben bekomme, der sich einen „gesunden Saft“ macht – und Kurkuma mit Corona verwechselt. Mir gefällt auch der Spatz, der sich in meiner Markise ein Nest gebaut hat und mir jeden Tag auf den Balkon scheißt, während er ein fröhliches Trallala anstimmt. Hab ich schon einen Vogel?

Der Atem, den wir noch brauchen werden, um diesen Wahnsinn zu überstehen, wird ein langer sein müssen. Und wahrscheinlich ist das der grausligste Aspekt dieser realen Dystopie: Keiner von uns weiß, wie lange dieser Ausnahmezustand dauert. Wir können uns nirgends Rat holen – denn selbst der durchaus putzige Gesundheitsminister hat ja eigentlich keine Ahnung. Corona hat das Gefühl von Sicherheit, das offenbar überlebensnotwendig ist, ausgelöscht. Jetzt hängen wir alle – und zwar wirklich ALLE – in der Luft. Und können uns nicht einmal umarmen, um uns zu trösten. Skypen ersetzt keine Nähe, vermeintlich lustige Whatsapp Chats heben die Laune nur bedingt, Instagram-Schnappschüsse von emsigen Wohnzimmer-Workouts helfen niemandem aus dunkelgrauen Löchern raus.

Was wir brauchen? Uns. Nicht via Face Time sondern Face to Face.

Am Anfang der Krise habe ich mir geschworen, dass ich nach Ablauf der Krise, alles knutsche, was sich bewegt. Mittlerweile glaube ich, dass ich mir mit diesem Nah-Angriff aber keine Freunde machen werde. Jetzt fürchte ich, dass wir die Nähe verlernt haben werden – und wir auch fortan auf Rückzug gehen. Weil…man weiß ja nie, ob am Anderen nicht doch ein Virus pappt, der die Welt dann erneut verrückt spielen lässt.

Ich hab den Überblick verloren. Über die Zeit und über meine Gedanken. Heute ist wahrscheinlich Donnerswoch. Wenn nicht, werd ich übergestern schon drauf kommen, dass ich mich geirrt habe.

Christiane Fasching

Corona als Chance…

Wie gesagt das ganze Leben  wird in Kurven gemessen.die Herzkurve, die Atemkurve wer einatmet  muss ausatmen, wer einschläft, muss ausschlafen. Der einzige Zeitpunkt im Leben, in dem wirklich alles glattläuft und in dem die Kurve nicht mehr ausschlägt ist die Flatline auf dem Monitor. Die hat man aber erst erreicht wenn man tot ist. Also ATME….

Monika Patis