Über die Zeit und über meine Gedanken. Haben wir heute Donnerstag oder Montag? Habe ich Angst oder einen Knall? Bild ich mir diesen Wahnsinn womöglich nur ein? Ist mein Home-Office in Wahrheit eine Gummizelle und ich Opfer eines psychotischen Schubs, der mir vorgaukelt, dass die Welt gerade still steht. Maskenpflicht. Abstand halten. Jogging-Verbot. Gemeindegrenzen nicht überschreiten. Auf keinen Fall jemandem die Hand schütteln, aber permanent die Hände waschen müssen. Bei der Härtefonds Hotline anrufen. Erfahren, dass man zu wenig verdient hat, um unterstützt zu werden. Zu arm, um arm zu sein?
Ich bin eigentlich davon ausgegangen, dass 2020 ein gutes Jahr wird. Ich hab mich über den zusätzlichen Schaltjahr-Tag gefreut, wollte eine Dirty Dancing-Gartenparty machen, endlich mal vom 10er hupfen, mit dem Freizeit-Ticket in der Hand alle Tiroler Bäder testen und im Sommer nach Nizza und Bologna fahren. Ja, ja. Schon gut. Arbeiten wollte ich auch – und hätte ich auch können. Aufträge waren da. Und brechen jetzt weg. Tourismusmagazine wird’s heuer wohl keine mehr geben. Das Theaterfestival, für das ich die Pressearbeit hätte machen sollen, ist abgesagt. Das Literaturfestival, an dem ich auch mitarbeiten wollte, ebenso. Bis Juni bin ich also voraussichtlich haggnstad. Und irgendwann werden dann auch meine Ersparnisse erschöpft sein. Wobei: Wenn ich weiterhin im Monat nur knapp 200 Euro für Lebensmittel und Zigaretten ausgebe, dann steige ich am Ende womöglich doch noch als rich bitch aus.
Was mich erstaunt: Obwohl es gerade nicht viel zu tun gibt, bin ich ständig erschöpft. Mein Kopf rattert den ganzen Tag und auch die halbe Nacht: In meinen Träumen bin ich Geheimagentin und werde von bösen Kerlen auf einem Schlachthof filetiert. Oder ich adoptiere eine überdimensional große Katze mit Löchern im Bauch, die dem Tod geweiht ist. Am schlimmsten war aber das eindeutig zweideutige Angebot von meinem Ex-Chef, der mich in Wien zum Beischlaf überreden wollte. Ich hab zwar lachend abgelehnt, bin aber trotzdem groggy aufgewacht. Nicht mal beim Schlafen hat man seine Ruhe.
Dabei wäre es ja gerade so still. Kein Flugzeug-Lärm, kein Autobahn Gebrumme, kein nerviges Gequatsche, kein aufmunterndes Lachen. Ja – man hört oft seinen eigenen Atem. Und da bin ich wieder bei der Angst. Allzu schön ist dieses Geräusch nämlich nicht.
Vor ein paar Tagen hab ich mir die Live-Übertragung des päpstlichen Segens angeschaut. Herrgottsakra – danach war ich wirklich panisch. Und hatte eine neue Form der Platzangst: Der fußmarode Papst inmitten des verwaisten Petersplatzes…uff…solche Bilder wollte ich nie sehen. Dazu noch die täglichen Hiobsbotschaften aus Italien, wo Leichenberge vom Militär abtransportiert werden und verzweifelte Krankenpfleger heulend in den nach Tod riechenden Krankenhausgängen kauern. Werden wir diese Impressionen jemals wieder los?
Wie wird die Welt nach Corona sein? Wahrscheinlich komisch. Denn schon in den letzte Wochen hat sich gezeigt, dass nur die wenigsten Menschen in der Krise zu besseren Versionen ihrerselbst werden. Beim Spazierengehen schlägt einem Aggression entgegen. Im Supermarkt wird man angerempelt und angepfaucht. Und viel mehr Aktivitäten gibt’s ja eh nicht. Außer man ist passionierter Hobby-Blockwart und liegt den ganzen Tag auf der Lauer, um mögliche Übertretungen des Social-Distance-Gebots ratzfatz bei der Polizei melden zu können. Sind das dann eigentlich die selben Leute, die bei den Balkonkonzerten „Ein Stern, der deinen Namen trägt“ oder „Du bist das Land, dem ich die Treue halte“ anstimmen? Nix für ungut: Aber ich mach neuerdings um 18 Uhr die Balkontür zu – weil ich Angst habe, dass ich mir bald auch noch „Zu Mantua in Banden“ oder „I sing a Liad für di“ anhören muss.
Hin und wieder muss ich aber auch lachen. Etwa wenn meine Schwester, mit der ich eine Corona-WG bilde, frühmorgens „Tauet Himmel den Gerechten“ singt, während sie einen Krapfen aus dem Tiefkühler nimmt. Oder ich ein Video von meinem Patenkind Ben bekomme, der sich einen „gesunden Saft“ macht – und Kurkuma mit Corona verwechselt. Mir gefällt auch der Spatz, der sich in meiner Markise ein Nest gebaut hat und mir jeden Tag auf den Balkon scheißt, während er ein fröhliches Trallala anstimmt. Hab ich schon einen Vogel?
Der Atem, den wir noch brauchen werden, um diesen Wahnsinn zu überstehen, wird ein langer sein müssen. Und wahrscheinlich ist das der grausligste Aspekt dieser realen Dystopie: Keiner von uns weiß, wie lange dieser Ausnahmezustand dauert. Wir können uns nirgends Rat holen – denn selbst der durchaus putzige Gesundheitsminister hat ja eigentlich keine Ahnung. Corona hat das Gefühl von Sicherheit, das offenbar überlebensnotwendig ist, ausgelöscht. Jetzt hängen wir alle – und zwar wirklich ALLE – in der Luft. Und können uns nicht einmal umarmen, um uns zu trösten. Skypen ersetzt keine Nähe, vermeintlich lustige Whatsapp Chats heben die Laune nur bedingt, Instagram-Schnappschüsse von emsigen Wohnzimmer-Workouts helfen niemandem aus dunkelgrauen Löchern raus.
Was wir brauchen? Uns. Nicht via Face Time sondern Face to Face.
Am Anfang der Krise habe ich mir geschworen, dass ich nach Ablauf der Krise, alles knutsche, was sich bewegt. Mittlerweile glaube ich, dass ich mir mit diesem Nah-Angriff aber keine Freunde machen werde. Jetzt fürchte ich, dass wir die Nähe verlernt haben werden – und wir auch fortan auf Rückzug gehen. Weil…man weiß ja nie, ob am Anderen nicht doch ein Virus pappt, der die Welt dann erneut verrückt spielen lässt.
Ich hab den Überblick verloren. Über die Zeit und über meine Gedanken. Heute ist wahrscheinlich Donnerswoch. Wenn nicht, werd ich übergestern schon drauf kommen, dass ich mich geirrt habe.