Atmen. Ein Wort das man eigentlich gar nicht braucht, wenn Sie mich vor ein paar Wochen gefragt hätten. Denn wann haben Sie das letzte Mal jemanden gefragt: „ Na, haben Sie gut geatmet?“ Wahrscheinlich noch nie, aber gerade in den letzten Wochen hat das Wort doch eine ganz andere Bedeutung, oder sagen wir mal eine ganz andere Dringlichkeit erhalten. Irgendwann atmen wir alle nicht mehr, dass ist mir bewusst, und ich war auch immer der Meinung, dass das etwas Gutes ist. Der Tod erschien mir nie als etwas Schreckliches, sondern eher als gutes Ende. Quasi als Begrenzung, wie die Zeitangabe bei einem Film, sodass man weiß, wann man das Licht ausmachen kann, die Decke hochziehen und einschlafen kann, ohne etwas von der Handlung zu verpassen. Ja, so oder so ähnlich stell ich mir das vor. Aber was, wenn Stromausfall ist und es plötzlich dunkel wird bevor diese Minutenanzahl abgelaufen ist? Was wenn der Film plötzlich ins Stocken gerät oder der Laptop, auf dem man den Film ansieht, keinen Strom mehr hat? Was wenn man nicht das Ende des Films erfährt? Was dann? Corona hat mir zwar keine Angst vor dem Tod gemacht, aber es hat mir gezeigt, wie wenig man heutzutage solchen Minutenanzeigen trauen darf. Ich bin fest davon überzeugt, mit meiner Oma und meinen Kindern irgendwann durch den Hofgarten zu spazieren. Habe bisher auch nie an dieser Vorstellung gerüttelt, doch in den letzten Tagen ist mir bewusst geworden, wie wenig gesichert dieser Traum ist. Und ja, mittlerweile spreche ich von einem Traum, früher von einer Tatsache in der Zukunft. Ich habe keine panische Angst davor alle zu verlieren, falls das jetzt so wirkt, und ich glaube auch, meine Chancen diesen Traum in Erfüllung gehen zu sehen, sind nicht so gering, aber die derzeitigen Veränderungen in unserem Alltag und die Tatsache, dass ich jetzt einen Text übers Atmen schreibe, und in diesem Zusammenhang auf meine Oma sprechen zu komme, ist schon etwas bizarr. Dennoch bin ich der Meinung, dass nichts ohne Grund geschieht und jede Situation etwas Gutes hat, auch wenn sich dies eventuell erst später zeigt. Corona hat in dem Sinne etwas Gutes, dass wir wach geworden sind. Unser Hamsterrad kurz zum Stillstand gekommen ist und uns vor Augen geführt wurde, wie machtlos der Mensch eigentlich ist. Egal wie erfolgreich wir sind, wie viel Geld wir besitzen oder wo auf der Erde wir wohnen: momentan sitzen wir alle mehr oder weniger zu Hause und wollen nichts dringlicher als ein Corona-freies Leben. Wir sind alle gezwungen worden, unsere Prioritäten zu überdenken und das ist, wenn auch der einzige aber dennoch EIN, guter Punkt an Corona. Vielleicht fange ich nach dieser Krise an, mehr in den Tag hineinzuleben, mir nicht nur Gedanken über die Zukunft zu machen, sondern so gut es geht diese Zukunft zu leben. Also keine Träumereien mehr über meine Kinder im Hofgarten mit meiner Oma, sondern stattdessen Oma und ich, ohne Kinder, aber dafür gemeinsam im Hofgarten und das noch am besten dieses Jahr!
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